Kindesunterhalt und
Mehrbedarf
Der
Bundesgerichtshof (BGH) hat am 10.7.2013 entschieden, dass Kosten eines
Förderunterrichts in einem privaten Lehrinstitut wegen einer Lese-
Rechtschreibschwäche des Kindes unterhaltsrechtlich ein sog. Mehrbedarf
darstellen können. Voraussetzung sei, dass der Förderunterricht sich über einen
längeren Zeitraum erstrecke und sachliche Gründe den Besuch notwendig mache.
Dies sei z.B. der Fall, wenn das Kind zuvor erfolgslos an öffentlichen
Förderungsmaßnahmen teilgenommen habe.
Weiter hat
der BGH entschieden, dass die Kosten des berechtigten Mehrbedarfs eines
minderjährigen Kindes grundsätzlich anteilig auf beide Elternteile zu verteilen
sind.
Verteilungsmaßstab ist ihr unterhaltsrelevantes Einkommen nach Abzug eines angemessenen Selbstbehalts.
Verteilungsmaßstab ist ihr unterhaltsrelevantes Einkommen nach Abzug eines angemessenen Selbstbehalts.
BGH
Beschluss vom 10.7.2013
XII ZB
298/12
Tenor
Auf die
Rechtsbeschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss des 2. Familiensenats
des Hanseatischen Oberlandesgerichts in Hamburg vom 25. April 2012 aufgehoben.
Die Sache
wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des
Rechtsbeschwerdeverfahrens, an einen anderen Senat des Oberlandesgerichts
zurückverwiesen.
Von Rechts
wegen.
Tatbestand
Die
Beteiligten streiten im Rahmen des Kindesunterhalts um Mehrbedarf für eine
Therapie einer Lese-Rechtschreib-Schwäche (LRS). Der am 25. Juli 1997 geborene
Antragsteller ist der nichtehelich geborene Sohn der Antragsgegnerin, der seit
Mai 2010 bei dem Kindesvater lebt. Die Antragsgegnerin arbeitet vollschichtig
als Sachbearbeiterin bei einer Versicherung und ist zudem als Rechtsanwältin
zugelassen, ohne aus einer solchen Tätigkeit Einkünfte zu erzielen. Der
verheiratete Kindesvater ist als Rechtsanwalt in einer größeren Kanzlei tätig.
1 Der Antragsteller absolvierte seit März 2011 eine einjährige LRS-Therapie bei
einem privaten Anbieter (L.-Institut), durch die Kosten in einer Gesamthöhe von
2.304 € entstanden sind. Die Antragsgegnerin lehnt die - erstmals im März 2011
geltend gemachte - Beteiligung an den Kosten der LRS-Therapie bei dem
L.-Institut ab.
Im
vorliegenden Verfahren verlangt der durch den Kindesvater vertretene
Antragsteller von der Antragsgegnerin Zahlung von anteiligen Therapiekosten in
Höhe von 797,04 €. Die Beteiligten streiten im Wesentlichen darum, ob genügende
Gründe für die Durchführung der LRS-Therapie - zudem bei einem privaten
Anbieter - vorgelegen haben; ferner ist streitig, in welcher Höhe die
Antragsgegnerin und der Kindesvater unterhaltsrelevante Einkünfte erzielen.
Das Amtsgericht
hat die Antragsgegnerin antragsgemäß zur Zahlung von Kindesunterhalt
verpflichtet. Die dagegen gerichtete Beschwerde hat das Oberlandesgericht
zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die zugelassene Rechtsbeschwerde der
Antragsgegnerin, mit der sie die vollständige Abweisung des Antrags
weiterverfolgt.
Gründe:
Die Rechtsbeschwerde ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Oberlandesgericht.
1. Im
rechtlichen Ausgangspunkt zutreffend hat das Oberlandesgericht erkannt, dass
die während der Dauer des einjährigen Förderunterrichts des Antragstellers
anfallenden monatlichen Kosten unterhaltsrechtlichen Mehrbedarf darstellen
können. Als Mehrbedarf ist der Teil des Lebensbedarfs (§ 1610 BGB) 3 anzusehen,
der regelmäßig während eines längeren Zeitraums anfällt und das Übliche derart
übersteigt, dass er beim Kindesunterhalt mit den Tabellensätzen nicht -
zumindest nicht vollständig - erfasst werden kann, andererseits aber
kalkulierbar ist und deshalb bei der Bemessung des laufenden Unterhalts
berücksichtigt werden kann (Senatsurteil vom 5. März 2008 - XII ZR 150/05 -
FamRZ 2008, 1152 Rn. 24).
2. Ohne Erfolg wendet sich die Rechtsbeschwerde gegen die Erwägungen, die das
Beschwerdegericht im Zusammenhang mit der Notwendigkeit und der Angemessenheit
des privaten Förderunterrichts angestellt hat.
a) Das
Beschwerdegericht hat - dem Amtsgericht folgend - seine Überzeugung, dass der
Antragsteller an einer förderungsbedürftigen Rechtschreibschwäche leide,
insbesondere aus der Auswertung eines Schreibtests gewonnen, den der
Antragsteller auf Anregung seines Deutschlehrers am 24. Februar 2011 bei dem
L.-Institut absolviert hat; das dabei angewendete Testverfahren (sog. Hamburger
Schreibprobe) kann dieser Auswertung entnommen werden. Diese tatrichterliche
Würdigung lässt Rechtsfehler nicht erkennen. Soweit die Rechtsbeschwerde
demgegenüber insbesondere geltend macht, dass es sich bei dem L.-Institut um
ein auf Gewinnerzielung gerichtetes Unternehmen handele, dessen Kompetenz
ungeklärt sei, will sie damit die eigene Würdigung von der Überzeugungskraft
des Beweismittels an die Stelle der Würdigung des Beschwerdegerichts setzen,
was ihr im Verfahren der Rechtsbeschwerde verwehrt ist.
b) Es
entspricht der Rechtsprechung des Senats, dass der Unterhaltsberechtigte den
durch den kostenauslösenden Besuch einer privaten Bildungseinrichtung
entstandenen Mehrbedarf nicht unbeschränkt, sondern nur beim Vorliegen von
sachlichen Gründen geltend machen kann. Darüber hinaus bedarf es einer
besonderen Prüfung der konkreten Umstände des Einzelfalls, wenn die 8
Entscheidung für den Besuch einer privaten Bildungseinrichtung einen nicht
unerheblichen Mehrbedarf im Vergleich mit anderen denkbaren Lösungen des
zugrunde liegenden schulischen Problems verursacht (vgl. Senatsurteil vom 3.
November 1982 - IVb ZR 324/81 - FamRZ 1983, 48, 49 zur Privatschule). Im
vorliegenden Fall war daher zu prüfen, ob für die kostenauslösende
Inanspruchnahme eines privaten Lehrinstituts im Vergleich zu den schulischen
Förderangeboten so gewichtige Gründe vorliegen, dass es gerechtfertigt
erscheint, die dadurch verursachten Mehrkosten zu Lasten der Antragsgegnerin
als angemessene Kosten der Ausbildung im Sinne von § 1610 Abs. 2 BGB
anzuerkennen.
Auch diese
Beurteilung obliegt im Kern der tatrichterlichen Würdigung (vgl. Senatsurteil
vom 3. November 1982 - IVb ZR 324/81 - FamRZ 1983, 48, 49). Das
Beschwerdegericht hat - auch insoweit dem Amtsgericht folgend - den Besuch
eines privaten Förderunterrichtes insbesondere deshalb als gerechtfertigt
angesehen, weil der Antragsteller bereits zwischen der fünften und siebten
Klasse öffentliche Förderungsmaßnahmen durch Regionale Beratungs- und
Unterstützungsstellen (REBUS) zur Behebung von Lese- und Rechtschreibschwächen
ohne besonderen Erfolg durchlaufen habe. Dies hält sich im Rahmen einer
zulässigen tatrichterlichen Überzeugungsbildung und ist daher aus Rechtsgründen
nicht zu beanstanden.
3. Im
Ausgangspunkt richtig ist die Annahme des Beschwerdegerichts, dass für
berechtigten Mehrbedarf grundsätzlich beide Elternteile anteilig nach ihren
Einkommensverhältnissen (Senatsurteil vom 5. März 2008 - XII ZR 150/05 - FamRZ
2008, 1152 Rn. 28) und nach den Maßstäben des § 1603 Abs. 1 BGB aufzukommen
haben, so dass vor der Gegenüberstellung der beiderseitigen
unterhaltsrelevanten Einkünfte generell ein Sockelbetrag in 11 Höhe des
angemessenen Selbstbehalts abzuziehen ist (Senatsurteil vom 26. November 2008 -
XII ZR 65/07 - FamRZ 2009, 962 Rn. 32).
4. Das Beschwerdegericht hat indessen das unterhaltsrechtlich zu berücksichtigende Einkommen des Kindesvaters nicht rechtsfehlerfrei ermittelt.
a) Das
Beschwerdegericht legt seinen Berechnungen durchgehend das von dem Kindesvater
im Jahre 2011 erzielte monatliche Nettoeinkommen in Höhe von 6.921 € zugrunde.
Dieser Ansatz ist jedenfalls für die Verteilung der im Jahre 2012 entstandenen
Kosten der LRS-Therapie des Antragstellers nicht mehr zutreffend, weil sich das
Einkommen des Kindesvaters nach den Feststellungen des Beschwerdegerichts im
Jahre 2012 wegen der Zahlung einer Bruttotantieme in Höhe von 12.000 €
signifikant erhöht hat.
b) Soweit
das Beschwerdegericht das Nettoeinkommen des Kindesvaters um den steuerlichen
Splittingvorteil (richtig: um etwa die Hälfte des steuerlichen
Splittingvorteils) in Höhe von 325 € bereinigt hat, weil dieser Vorteil seiner
Ehe vorzubehalten sei, entspricht dies nicht der ständigen Rechtsprechung des
Senats. Ein vom Beschwerdegericht angenommenes Verbot der Teilhabe am
steuerlichen Splittingvorteil besteht beim Kindesunterhalt - um den es hier
geht - nicht. Vielmehr gilt insofern der allgemeine Grundsatz, dass alle
Einkommensbestandteile und somit auch der Splittingvorteil für den
Kindesunterhalt herangezogen werden können, und zwar sowohl bei der Ermittlung
des Bedarfs nach § 1610 BGB als auch bei der Leistungsfähigkeit nach § 1603 BGB
(vgl. zuletzt Senatsurteile vom 2. Juni 2010 - XII ZR 160/08 - FamRZ 2010, 1318
Rn. 18 ff. und BGHZ 178, 79 = FamRZ 2008, 2189 Rn. 16 ff.). Der aus der Ehe resultierende
Splittingvorteil ist beim Kindesunterhalt immer dann uneingeschränkt
einkommenserhöhend zu berücksichtigen, wenn er auf dem alleinigen Einkommen des
Unterhaltspflichtigen beruht. Nur dann, wenn der Ehegatte des
Unterhaltspflichtigen eigene steuerpflichtige Einkünfte bezieht, ist der
Splitting-13 vorteil - insoweit zum Nachteil des Kindes - auf den
Unterhaltspflichtigen und seinen Ehegatten zu verteilen (vgl. Senatsurteil BGHZ
178, 79 = FamRZ 2008, 2189 Rn. 31), allerdings nicht nach einem Halbteilungsmaßstab,
sondern nach dem Maßstab einer fiktiven Einzelveranlagung beider Ehegatten
(vgl. Wendl/Kemper 8. Aufl. § 1 Rn. 977; Graba FamRZ 2008, 2192; Pauling FamFR
2010, 363, 364).
c) Mit Recht
rügt die Rechtsbeschwerde ferner die Behandlung der von dem Kindesvater geltend
gemachten Verbindlichkeiten für die Finanzierung des in seinem Eigentum
stehenden Hauses. Das Beschwerdegericht hat vom Einkommen des Kindesvaters
Hausschulden in Gesamthöhe von 2.199 € abgesetzt, ohne dabei zu
berücksichtigen, dass den Belastungen ein Gegenwert durch den Vorteil
mietfreien Wohnens gegenübersteht. Die Antragsgegnerin hat ausdrücklich
bestritten, dass die von dem Kindesvater getragenen Hausverbindlichkeiten die
Höhe des durch die Immobilie geschaffenen Wohnwerts übersteigen. Zur Höhe
dieses Wohnwertes, der beim Kindesunterhalt grundsätzlich mit der bei einer
Fremdvermietung erzielbaren objektiven Marktmiete zu bemessen ist (Senatsurteil
vom 17. Mai 2006 - XII ZR 54/04 - FamRZ 2006, 1100, 1104; vgl. allerdings auch
Senatsurteil BGHZ 154, 247, 252 ff. = FamRZ 2003, 1179, 1180 f.), hat der für
die Einkommensverhältnisse seines Vaters darlegungs- und beweisbelastete
Antragsteller bislang keinen Vortrag gehalten.
5. Auch die
Berechnung des unterhaltsrelevanten Einkommens aufseiten der Kindesmutter ist
nicht frei von Rechtsfehlern. Insoweit sieht der Senat gemäß § 74 Abs. 7 FamFG
mit Blick auf den Senatsbeschluss vom heutigen Tage in der Parallelsache XII ZB
297/12 von einer weitergehenden Begründung der Entscheidung ab.
Der Senat macht von der Möglichkeit des § 74 Abs. 6 Satz 3 FamFG Gebrauch. Bei der erneuten Behandlung wird das Beschwerdegericht auch zu 16 beachten haben, dass das Einkommen des barunterhaltspflichtigen Elternteils bei der Ermittlung der vergleichbaren Einkünfte im Rahmen der Haftungsanteilsberechnung um den geschuldeten Barunterhalt zu bereinigen ist (vgl. Wendl/Klinkhammer 8. Aufl. § 2 Rn. 435).
Der Senat macht von der Möglichkeit des § 74 Abs. 6 Satz 3 FamFG Gebrauch. Bei der erneuten Behandlung wird das Beschwerdegericht auch zu 16 beachten haben, dass das Einkommen des barunterhaltspflichtigen Elternteils bei der Ermittlung der vergleichbaren Einkünfte im Rahmen der Haftungsanteilsberechnung um den geschuldeten Barunterhalt zu bereinigen ist (vgl. Wendl/Klinkhammer 8. Aufl. § 2 Rn. 435).
Dose
Weber-Monecke Schilling Günter Botur Vorinstanzen:
AG
Hamburg-Wandsbek, Entscheidung vom 23.11.2011 - 733 F 90/11 -
OLG Hamburg,
Entscheidung vom 25.04.2012 - 2 UF 3/12 -