Freitag, 13. September 2013

Kindesunterhalt und Mehrbedarf

Kindesunterhalt und Mehrbedarf

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat am 10.7.2013 entschieden, dass Kosten eines Förderunterrichts in einem privaten Lehrinstitut wegen einer Lese- Rechtschreibschwäche des Kindes unterhaltsrechtlich ein sog. Mehrbedarf darstellen können. Voraussetzung sei, dass der Förderunterricht sich über einen längeren Zeitraum erstrecke und sachliche Gründe den Besuch notwendig mache. Dies sei z.B. der Fall, wenn das Kind zuvor erfolgslos an öffentlichen Förderungsmaßnahmen teilgenommen habe.

Weiter hat der BGH entschieden, dass die Kosten des berechtigten Mehrbedarfs eines minderjährigen Kindes grundsätzlich anteilig auf beide Elternteile zu verteilen sind.

Verteilungsmaßstab ist ihr unterhaltsrelevantes Einkommen nach Abzug eines angemessenen Selbstbehalts.

BGH Beschluss vom 10.7.2013
XII ZB 298/12

Tenor
Auf die Rechtsbeschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss des 2. Familiensenats des Hanseatischen Oberlandesgerichts in Hamburg vom 25. April 2012 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an einen anderen Senat des Oberlandesgerichts zurückverwiesen.

Von Rechts wegen.

Tatbestand
Die Beteiligten streiten im Rahmen des Kindesunterhalts um Mehrbedarf für eine Therapie einer Lese-Rechtschreib-Schwäche (LRS). Der am 25. Juli 1997 geborene Antragsteller ist der nichtehelich geborene Sohn der Antragsgegnerin, der seit Mai 2010 bei dem Kindesvater lebt. Die Antragsgegnerin arbeitet vollschichtig als Sachbearbeiterin bei einer Versicherung und ist zudem als Rechtsanwältin zugelassen, ohne aus einer solchen Tätigkeit Einkünfte zu erzielen. Der verheiratete Kindesvater ist als Rechtsanwalt in einer größeren Kanzlei tätig. 1 Der Antragsteller absolvierte seit März 2011 eine einjährige LRS-Therapie bei einem privaten Anbieter (L.-Institut), durch die Kosten in einer Gesamthöhe von 2.304 € entstanden sind. Die Antragsgegnerin lehnt die - erstmals im März 2011 geltend gemachte - Beteiligung an den Kosten der LRS-Therapie bei dem L.-Institut ab.
Im vorliegenden Verfahren verlangt der durch den Kindesvater vertretene Antragsteller von der Antragsgegnerin Zahlung von anteiligen Therapiekosten in Höhe von 797,04 €. Die Beteiligten streiten im Wesentlichen darum, ob genügende Gründe für die Durchführung der LRS-Therapie - zudem bei einem privaten Anbieter - vorgelegen haben; ferner ist streitig, in welcher Höhe die Antragsgegnerin und der Kindesvater unterhaltsrelevante Einkünfte erzielen.
Das Amtsgericht hat die Antragsgegnerin antragsgemäß zur Zahlung von Kindesunterhalt verpflichtet. Die dagegen gerichtete Beschwerde hat das Oberlandesgericht zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die zugelassene Rechtsbeschwerde der Antragsgegnerin, mit der sie die vollständige Abweisung des Antrags weiterverfolgt.

Gründe:


Die Rechtsbeschwerde ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Oberlandesgericht.

1. Im rechtlichen Ausgangspunkt zutreffend hat das Oberlandesgericht erkannt, dass die während der Dauer des einjährigen Förderunterrichts des Antragstellers anfallenden monatlichen Kosten unterhaltsrechtlichen Mehrbedarf darstellen können. Als Mehrbedarf ist der Teil des Lebensbedarfs (§ 1610 BGB) 3 anzusehen, der regelmäßig während eines längeren Zeitraums anfällt und das Übliche derart übersteigt, dass er beim Kindesunterhalt mit den Tabellensätzen nicht - zumindest nicht vollständig - erfasst werden kann, andererseits aber kalkulierbar ist und deshalb bei der Bemessung des laufenden Unterhalts berücksichtigt werden kann (Senatsurteil vom 5. März 2008 - XII ZR 150/05 - FamRZ 2008, 1152 Rn. 24).

2. Ohne Erfolg wendet sich die Rechtsbeschwerde gegen die Erwägungen, die das Beschwerdegericht im Zusammenhang mit der Notwendigkeit und der Angemessenheit des privaten Förderunterrichts angestellt hat.

a) Das Beschwerdegericht hat - dem Amtsgericht folgend - seine Überzeugung, dass der Antragsteller an einer förderungsbedürftigen Rechtschreibschwäche leide, insbesondere aus der Auswertung eines Schreibtests gewonnen, den der Antragsteller auf Anregung seines Deutschlehrers am 24. Februar 2011 bei dem L.-Institut absolviert hat; das dabei angewendete Testverfahren (sog. Hamburger Schreibprobe) kann dieser Auswertung entnommen werden. Diese tatrichterliche Würdigung lässt Rechtsfehler nicht erkennen. Soweit die Rechtsbeschwerde demgegenüber insbesondere geltend macht, dass es sich bei dem L.-Institut um ein auf Gewinnerzielung gerichtetes Unternehmen handele, dessen Kompetenz ungeklärt sei, will sie damit die eigene Würdigung von der Überzeugungskraft des Beweismittels an die Stelle der Würdigung des Beschwerdegerichts setzen, was ihr im Verfahren der Rechtsbeschwerde verwehrt ist.

b) Es entspricht der Rechtsprechung des Senats, dass der Unterhaltsberechtigte den durch den kostenauslösenden Besuch einer privaten Bildungseinrichtung entstandenen Mehrbedarf nicht unbeschränkt, sondern nur beim Vorliegen von sachlichen Gründen geltend machen kann. Darüber hinaus bedarf es einer besonderen Prüfung der konkreten Umstände des Einzelfalls, wenn die 8 Entscheidung für den Besuch einer privaten Bildungseinrichtung einen nicht unerheblichen Mehrbedarf im Vergleich mit anderen denkbaren Lösungen des zugrunde liegenden schulischen Problems verursacht (vgl. Senatsurteil vom 3. November 1982 - IVb ZR 324/81 - FamRZ 1983, 48, 49 zur Privatschule). Im vorliegenden Fall war daher zu prüfen, ob für die kostenauslösende Inanspruchnahme eines privaten Lehrinstituts im Vergleich zu den schulischen Förderangeboten so gewichtige Gründe vorliegen, dass es gerechtfertigt erscheint, die dadurch verursachten Mehrkosten zu Lasten der Antragsgegnerin als angemessene Kosten der Ausbildung im Sinne von § 1610 Abs. 2 BGB anzuerkennen.
Auch diese Beurteilung obliegt im Kern der tatrichterlichen Würdigung (vgl. Senatsurteil vom 3. November 1982 - IVb ZR 324/81 - FamRZ 1983, 48, 49). Das Beschwerdegericht hat - auch insoweit dem Amtsgericht folgend - den Besuch eines privaten Förderunterrichtes insbesondere deshalb als gerechtfertigt angesehen, weil der Antragsteller bereits zwischen der fünften und siebten Klasse öffentliche Förderungsmaßnahmen durch Regionale Beratungs- und Unterstützungsstellen (REBUS) zur Behebung von Lese- und Rechtschreibschwächen ohne besonderen Erfolg durchlaufen habe. Dies hält sich im Rahmen einer zulässigen tatrichterlichen Überzeugungsbildung und ist daher aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden.

3. Im Ausgangspunkt richtig ist die Annahme des Beschwerdegerichts, dass für berechtigten Mehrbedarf grundsätzlich beide Elternteile anteilig nach ihren Einkommensverhältnissen (Senatsurteil vom 5. März 2008 - XII ZR 150/05 - FamRZ 2008, 1152 Rn. 28) und nach den Maßstäben des § 1603 Abs. 1 BGB aufzukommen haben, so dass vor der Gegenüberstellung der beiderseitigen unterhaltsrelevanten Einkünfte generell ein Sockelbetrag in 11 Höhe des angemessenen Selbstbehalts abzuziehen ist (Senatsurteil vom 26. November 2008 - XII ZR 65/07 - FamRZ 2009, 962 Rn. 32).

4. Das Beschwerdegericht hat indessen das unterhaltsrechtlich zu berücksichtigende Einkommen des Kindesvaters nicht rechtsfehlerfrei ermittelt.
a) Das Beschwerdegericht legt seinen Berechnungen durchgehend das von dem Kindesvater im Jahre 2011 erzielte monatliche Nettoeinkommen in Höhe von 6.921 € zugrunde. Dieser Ansatz ist jedenfalls für die Verteilung der im Jahre 2012 entstandenen Kosten der LRS-Therapie des Antragstellers nicht mehr zutreffend, weil sich das Einkommen des Kindesvaters nach den Feststellungen des Beschwerdegerichts im Jahre 2012 wegen der Zahlung einer Bruttotantieme in Höhe von 12.000 € signifikant erhöht hat.

b) Soweit das Beschwerdegericht das Nettoeinkommen des Kindesvaters um den steuerlichen Splittingvorteil (richtig: um etwa die Hälfte des steuerlichen Splittingvorteils) in Höhe von 325 € bereinigt hat, weil dieser Vorteil seiner Ehe vorzubehalten sei, entspricht dies nicht der ständigen Rechtsprechung des Senats. Ein vom Beschwerdegericht angenommenes Verbot der Teilhabe am steuerlichen Splittingvorteil besteht beim Kindesunterhalt - um den es hier geht - nicht. Vielmehr gilt insofern der allgemeine Grundsatz, dass alle Einkommensbestandteile und somit auch der Splittingvorteil für den Kindesunterhalt herangezogen werden können, und zwar sowohl bei der Ermittlung des Bedarfs nach § 1610 BGB als auch bei der Leistungsfähigkeit nach § 1603 BGB (vgl. zuletzt Senatsurteile vom 2. Juni 2010 - XII ZR 160/08 - FamRZ 2010, 1318 Rn. 18 ff. und BGHZ 178, 79 = FamRZ 2008, 2189 Rn. 16 ff.). Der aus der Ehe resultierende Splittingvorteil ist beim Kindesunterhalt immer dann uneingeschränkt einkommenserhöhend zu berücksichtigen, wenn er auf dem alleinigen Einkommen des Unterhaltspflichtigen beruht. Nur dann, wenn der Ehegatte des Unterhaltspflichtigen eigene steuerpflichtige Einkünfte bezieht, ist der Splitting-13 vorteil - insoweit zum Nachteil des Kindes - auf den Unterhaltspflichtigen und seinen Ehegatten zu verteilen (vgl. Senatsurteil BGHZ 178, 79 = FamRZ 2008, 2189 Rn. 31), allerdings nicht nach einem Halbteilungsmaßstab, sondern nach dem Maßstab einer fiktiven Einzelveranlagung beider Ehegatten (vgl. Wendl/Kemper 8. Aufl. § 1 Rn. 977; Graba FamRZ 2008, 2192; Pauling FamFR 2010, 363, 364).

c) Mit Recht rügt die Rechtsbeschwerde ferner die Behandlung der von dem Kindesvater geltend gemachten Verbindlichkeiten für die Finanzierung des in seinem Eigentum stehenden Hauses. Das Beschwerdegericht hat vom Einkommen des Kindesvaters Hausschulden in Gesamthöhe von 2.199 € abgesetzt, ohne dabei zu berücksichtigen, dass den Belastungen ein Gegenwert durch den Vorteil mietfreien Wohnens gegenübersteht. Die Antragsgegnerin hat ausdrücklich bestritten, dass die von dem Kindesvater getragenen Hausverbindlichkeiten die Höhe des durch die Immobilie geschaffenen Wohnwerts übersteigen. Zur Höhe dieses Wohnwertes, der beim Kindesunterhalt grundsätzlich mit der bei einer Fremdvermietung erzielbaren objektiven Marktmiete zu bemessen ist (Senatsurteil vom 17. Mai 2006 - XII ZR 54/04 - FamRZ 2006, 1100, 1104; vgl. allerdings auch Senatsurteil BGHZ 154, 247, 252 ff. = FamRZ 2003, 1179, 1180 f.), hat der für die Einkommensverhältnisse seines Vaters darlegungs- und beweisbelastete Antragsteller bislang keinen Vortrag gehalten.

5. Auch die Berechnung des unterhaltsrelevanten Einkommens aufseiten der Kindesmutter ist nicht frei von Rechtsfehlern. Insoweit sieht der Senat gemäß § 74 Abs. 7 FamFG mit Blick auf den Senatsbeschluss vom heutigen Tage in der Parallelsache XII ZB 297/12 von einer weitergehenden Begründung der Entscheidung ab.
Der Senat macht von der Möglichkeit des § 74 Abs. 6 Satz 3 FamFG Gebrauch. Bei der erneuten Behandlung wird das Beschwerdegericht auch zu 16 beachten haben, dass das Einkommen des barunterhaltspflichtigen Elternteils bei der Ermittlung der vergleichbaren Einkünfte im Rahmen der Haftungsanteilsberechnung um den geschuldeten Barunterhalt zu bereinigen ist (vgl. Wendl/Klinkhammer 8. Aufl. § 2 Rn. 435).

Dose Weber-Monecke Schilling Günter Botur Vorinstanzen:

AG Hamburg-Wandsbek, Entscheidung vom 23.11.2011 - 733 F 90/11 -


OLG Hamburg, Entscheidung vom 25.04.2012 - 2 UF 3/12 -

Dienstag, 3. September 2013

Der Verfahrensbeistand

Der Verfahrensbeistand

Was ist ein Verfahrensbeistand?
Den Verfahrensbeistand gibt es seit 1998. Bis 2009 hieß er Verfahrenspfleger. Der Verfahrensbeistand vertritt in kindschaftsrechtlichen Verfahren (Sorgerecht, Umgang etc.) die Interessen des minderjährigen Kindes. Deshalb wird er oft auch als „Anwalt des Kindes“ bezeichnet. In der Praxis werden Anwälte aber sehr selten als Verfahrensbeistand eingesetzt. Der Grund dafür ist, dass der Verfahrensbeistand sich nicht um juristische Fragen kümmert. Vielmehr besteht seine Hauptaufgabe darin, die Interessen des Kindes festzustellen. Hierfür braucht er Kenntnisse aus der Kinderpsychologie etc. Als Verfahrensbeistand werden deshalb sehr überwiegend Kindertherapeuten, Sozialpädagogen o.ä. eingesetzt.

Aufgaben
Die Aufgaben eines Verfahrensbeistandes sind im Gesetz (§ 158 Abs. 4 FamFG) genau beschrieben. „Er hat das Interesse des Kindes festzustellen und im Gerichtsverfahren zur Geltung zu bringen“.  Es ist nicht seine Aufgabe, sich über den Gang des Gerichtsverfahren Gedanken zu machen. Er soll sich darauf beschränken, den wirklichen Willen des Kindes zu ermitteln und nicht den artikulierten Willen. Deshalb muss  er überprüfen werden, ob Beeinflussungen durch die Eltern oder andere Personen erfolgt sind. Das Ergebnis teilt er dem Richter in der Gerichtsverhandlung mit.
Außerdem erklärt der Verfahrensbeistand dem Kind entsprechend dessen Alter, worum es im Gerichtsverfahren geht, wie ein Gerichtsverfahren abläuft etc. und nimmt am Gespräch des Kindes mit dem Richter teil. Von diesem Gespräch sind die Eltern und deren Anwälte ausgeschlossen.

Um den Willen des Kindes zu erforschen, führt also der Verfahrensbeistand mit dem Kind ein oder mehrere Gespräche. Das Gericht  kann aber auch anordnen, dass der Verfahrensbeistand zusätzlich noch Gespräche mit den Eltern oder
anderen Bezugspersonen des Kindes führen soll. Ziel ist es, eine  einvernehmliche Regelung zwischen den zerstrittenen Eltern herbeizuführen.

Kosten
Der Verfahrensbeistand erhält pro Kind pauschal 350 € brutto einschließlich seiner Kosten (Fahrkosten, Telefonkosten etc.) unabhängig davon, wie oft und wie lange er mit dem Kind gesprochen hat, wie viele Gerichtstermine stattgefunden oder wie lange diese gedauert haben. Soll er noch mit den Eltern oder anderen Personen Gespräche führen, erhöht sich seine Vergütung pro Kind auf 550 € (§ 158 Abs. 7 FamFG)
Diese erhöhten Gebühren sind selbst dann zu zahlen, wenn der Verfahrensbeistand es z.B. aus zeitlichen Gründen nicht mehr vor dem Gerichtstermin geschafft hat, mit den Eltern etc. zu sprechen. Dies hat der Bundesgerichtshof ausdrücklich entschieden. Ausschlaggebend für die Vergütung des Verfahrensbeistandes ist allein der Beschluss des Amtsgerichts mit der Anordnung, auch mit dem Eltern etc. zu reden, solange der Verfahrensbeistand nur in irgendeiner Weise im Kindesinteresse tätig geworden ist (BGH FamRZ 2010, 1896; FamRZ 2011, 558; 199).


Im Beschwerdeverfahren vor einem Oberlandesgericht muss der Verfahrensbeistand nicht einmal bestellt werden. Der alte Beschluss des Amtsgerichts wirkt automatisch weiter.

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Ihre Rechtsanwältin
Dagmar Constantas-Saamen